«Josiah hat uns doch immer irgendwie auch Kraft gegeben»

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Josiah Wyss ist neun Jahre alt und von einer cerebralen Bewegungs-beeinträchtigung betroffen. Nach einem schwierigen Start ins Leben ist er heute glücklicherweise sehr stabil und macht auch immer wieder grosse Fortschritte. Dies sehr zur Freude seiner Familie, die ihn liebevoll unterstützt und begleitet.

Die Familie Wyss lebt in einer ausgebauten  Scheune im Schaffhausischen Löhningen. Mit viel Liebe zum Detail und grossem handwerklichem Geschick haben Nicole und Daniel Wyss grosse Teile ihres Zuhauses selber umgebaut und dabei viel Wert darauf gelegt, die Substanz des ursprünglichen Gebäudes aus dem 16. Jahrhundert möglichst zu erhalten. 
Gerade ist Zvieri-Zeit und die ganze Familie hat sich um den grossen Esstisch versammelt. Josiah klaubt hingebungsvoll kleine Stückchen Brot von einem Teller und kaut genüsslich, während sich seine Geschwister Jaël (20 Jahre), Deborah (17 Jahre) und Aaron (15 Jahre) angeregt mit Papa Daniel und Mama Nicole Wyss unterhalten. Es wird viel miteinander gelacht und man spürt eine tiefe Zusammengehörigkeit. «Eigentlich ist es inzwischen eher selten geworden, dass alle Familienmitglieder so miteinander am Tisch sitzen», schmunzelt Nicole Wyss und stellt einen grossen Krug Wasser auf den Tisch, «umso mehr geniessen wir es, wenn wirklich einmal alle Zeit haben.»
Josiah geniesst seine Rolle als Nesthäkchen sichtlich. Seine Geschwister kümmern sich sehr aufmerksam um ihn und beziehen ihn in ihre Gespräche mit ein. Er kann zwar selber nicht sprechen, verfolgt aber sehr aufmerksam, was die anderen sagen, und strahlt dabei übers ganze Gesicht.
    
Alles schien in bester Ordnung
Josiah ist das jüngste von vier Kindern und wurde nach einer unauffälligen Schwangerschaft als vermeintlich gesundes Baby geboren. Nicole Wyss erinnert sich noch gut daran: «Die Geburt verlief problemlos und auch die anschliessenden Routinekontrollen im Spital zeigten keinerlei Auffälligkeiten.» Überglücklich fuhren die Eltern mit Josiah nach Hause, wo seine Geschwister schon ungeduldig auf ihren neuen Bruder warteten. 
Rund sechs Monte lang schien alles in bester Ordnung. Doch dann wurde Josiah zusehends von schweren Atemwegsinfekten heimgesucht. Nicole Wyss: «Josiah war damals wirklich oft krank und erholte sich jeweils nur langsam wieder. Als sich dann seine Entwicklung verlangsamte, dachten wir zuerst, dass dies ebenfalls mit den vielen ernsten Erkrankungen zusammenhänge. Wir versuchten, uns nicht allzuviele Sorgen zu machen.» 
Als Josiah ein Jahr alt war, kam es dann in den Ferien im Tessin zu einem schweren Zwischenfall. Daniel Wyss erzählt: «Josiah konnte plötzlich kaum noch atmen und musste notfallmässig behandelt werden.» Der Kinderarzt im Tessin war es, der den Eltern dringend dazu riet, weitere Abklärungen für Josiah einzuleiten. Er war sich sicher, dass Josiahs verlangsamte Entwicklung einen anderen Hintergrund haben musste – und sollte leider recht behalten. Die besorgten Eltern fuhren mit Josiah ins Kinderspital Zürich, wo der kleine Junge eingehend untersucht wurde. Schnell wurde klar, dass Josiah von einer cerebralen Bewegungsbeeinträchtigung betroffen ist. Trotz intensiver Abklärungen konnte aber nie eine detaillierte Diagnose getroffen werden und so erhielten die Eltern auch keine Prognose, wie sich ihr Sohn entwickeln würde. Am Anfang war das für sie schwer zu akzeptieren. Sie wären froh gewesen, wenn sie Josiahs Beeinträchtigung einen genauen Namen hätten geben können. Nur schon, weil so weniger diffuse Sorgen und Ängste im Raum gestanden hätten. Daniel Wyss zuckt die Schultern: «Inzwischen hat sich dies aber geändert. Josiah ist einfach Josiah und wir haben gelernt, jeden Tag so zu nehmen, wie er kommt.» Seine Frau Nicole nickt bestätigend.

Natürlich und unkompliziert
Auch Jaël, Deborah und Aaron mussten lernen, mit Josiahs Beeinträchtigung umzugehen. Nicole und Daniel Wyss legten viel Wert darauf, ihre Kinder offen und ehrlich zu infomieren und in alle Entscheide miteinzubeziehen. Ebenso halfen sie von Anfang an bei der Pflege und Betreuung ihres Bruders mit. Dies jedoch sehr kindgerecht und ohne Zwang. Früh entwickelten die drei dadurch ein sehr natürliches und unkompliziertes Verhältnis zu Josiahs Beeinträchtigung. Bis heute verbindet die vier Kinder ein starkes Band. Deborah erzählt: «Natürlich gab es auch Zeiten, in denen es mir als Teenie unangenehm war, wenn ich Josiah zum Beipiel auf den Spielplatz begleiten sollte. In der Schule wurde ‹behindert› damals als Schimpfwort verwendet, entsprechend schwierig war es für mich, wenn meine Schulkolleginnen und -kollegen uns zusammen sahen. Das hat sich aber mit der Zeit geändert und heute bin ich sehr stolz darauf, dass Josiah mein Bruder ist. Ich bin wirklich gerne mit ihm zusammen unterwegs.» Jaël nickt und ergänzt: «Auch wenn es manchmal schwierig für uns war, mit der Tatsache zu leben, dass unser kleiner Bruder beeinträchtigt ist, hat uns Josiah doch irgendwie auch immer Kraft gegeben. Wenn ich traurig war, verkroch ich mich manchmal zu ihm ins Bett und seine Nähe hat mich immer sehr getröstet.» Auch Aaron pflegt eine sehr innige Beziehung zu seinem kleinen Bruder. Er ist ein sehr geduldiger und fürsorglicher Spielkamerad und holt ihn wenn immer möglich auch vom Schulbus ab – darauf freut sich  Josiah jeweils ganz besonders.

Fast jeder Tag bringt neue Fortschritte
Als Kleinkind hatte Josiah mit einem stark geschwächten Immunsystem zu kämpfen und war oft krank. Inzwischen ist er zum Glück sehr stabil und macht immer wieder Fortschritte – sehr zur Freude seiner Familie. «Im Moment dürfen wir fast täglich erleben, wie er über sich hinauswächst und Sachen lernt, die vorher als unmöglich erschienen. Das macht uns Mut für die Zukunft», so Daniel Wyss. Josiah verständigt sich mit verschiedenen Lauten und Gesten, ihn zu verstehen ist für seine Familie nicht immer einfach. Mit vier Jahren hat er laufen gelernt. Wenn er dabei begleitet und unterstützt wird, kann er inzwischen sogar längere Strecken bewältigen und zum Beispiel mit seiner Familie zu Fuss bis zum Dorfladen und wieder zurücklaufen. Nicole Wyss schmunzelt: «Es kommt immer auch darauf an, ob er Lust dazu hat. Einkaufen macht ihm grosse Freude und deshalb ist er auch einfacher zu motivieren, weiter zu laufen.» Sie lacht und wuschelt Josiah durch die Haare. Er schaut sie mit grossen Augen an und strahlt.

Loslassen ist schwer
Josiah ist ein sehr freundlicher und neugieriger Junge. Er mag Musik, laute Maschinen, Züge und viele Menschen um sich herum. Er geht ohne Angst auf Fremde zu und kennt keine Gefahren. Am liebsten möchte er die ganze Welt um sich herum entdecken und weil er zu Fuss ziemlich flink unterwegs ist, darf man ihn nie aus den Augen lassen. Sonst könnte es ganz schnell passieren, dass er verloren geht und den Heimweg alleine nicht mehr findet. Er besucht die 3. Klasse im Schulhaus Granatenbaumgut der Sonderschulen Schaffhausen. Dort gefällt es ihm sehr gut und er geniesst den Kontakt mit seinen Schulgspänli. 
Einmal pro Monat darf er am Wochenende dortbleiben. So erhalten seine Eltern die Möglichkeit, durchzuatmen, die Zeit als Paar zu geniessen oder mit ihren anderen Kindern in Ruhe etwas zu unternehmen. Auch wenn Nicole und Daniel Wyss diese Möglichkeit inzwischen sehr schätzen gelernt haben, wars am Anfang doch sehr schwierig, Josiah am Wochenende in die Obhut anderer zu geben. Nicole Wyss erinnert sich: «Für mich fühlte es sich an wie eine Kapitulation. Als wäre ich selber nicht in der Lage, meinem Kind gerecht zu werden.» Sie schluckt schwer, ihr Mann Daniel Wyss erzählt für sie weiter: «Ich weiss noch, als wir ihn zum ersten Mal für ein Wochenende ins Internat brachten. Ihm wars eigentlich sofort wohl und wir wussten, dass wir ihn mit gutem Gewissen dortlassen können. Trotzdem haben wir im Auto geweint und mussten nach ein paar hundert Metern anhalten, um uns zu beruhigen.» Die beiden lächeln einander liebevoll an. 

Die Trauer ist manchmal einfach da
Manchmal liegen Lachen und Weinen nahe beieinander – besonders, wenn man ein Kind mit einer Beeinträchtigung grosszieht. Auch bei der Familie Wyss gibt es immer wieder Zeiten, in denen die Traurigkeit überhandnimmt. Daniel Wyss meint nachdenklich: «Oftmals können wir nicht einmal genau definieren, was uns wirklich traurig macht – die Trauer ist einfach da und hüllt alles in ein graues, schweres Tuch.» Ein Patentrezept gegen solche düsteren Momente gibt es nicht. Trotzdem hat die Familie Wyss ihre ganz eigene Strategie entwickelt, um jeweils wieder neuen Lebensmut zu fassen. Daniel Wyss: «Man muss sich immer wieder von Neuem entscheiden, wohin man schauen möchte. Ob man nur das Traurige sieht oder ob man seinen Blick lieber auf all das Schöne und die tiefe Liebe rundherum richten möchte, bleibt einem selbst überlassen. Diese Gewissheit hat uns noch jedes Mal geholfen, wieder nach vorne zu schauen und zu merken, was für ein wunderbares Leben wir eigentlich führen.»

Hilfe für die Familie Wyss
Die Familie Wyss hat sich schon früh bei unserer Stiftung angemeldet und wurde auch schon mehrfach unterstützt. So zum Beispiel bei der Finanzierung einer pferdegestützten Therapieund bei der Anschaffung eines Pflegebettes für Josiah. Wir haben Nicole und Daniel Wyss auch schon einen Entlastungskurzurlaub ermöglicht und vor Kurzem haben wir der Familie zudem bei der Finanzierung eines behindertengerechten Spezialvelos geholfen. Dank diesem Velo kann Josiah gemeinsam mit seiner Familie Ausflüge unternehmen, den Fahrtwind geniessen und sogar selber in die Pedale treten.
Sehr dankbar sind Nicole und Daniel Wyss auch für den unkomplizierten Pflegeartikelservice der Stiftung Cerebral. Dieser nimmt ihnen ganz viel administrativen Aufwand ab und sie können sich die notwendigen Pflegeartikel für Josiah mit wenigen Klicks bequem nach Hause liefern lassen.

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